Wie steht es um die Rechte von Frauen und Mädchen in einem Land, das
die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer als "wichtigen Partner"
im Rahmen der Nato bezeichnet? - So beschrieb die CDU-Politikerin diese
Woche nach einem Treffen mit ihrem türkischen Amtskollegen Hulusi Akar
die Beziehungen zwischen Berlin und Ankara. Der türkische Wehrminister
gehört dem rechten Flügel der islamisch-konservativen Regierungspartei
AKP an, die sich von der Istanbul-Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt verabschieden will.
33 Frauen, die im August 2020 dagegen protestierten, sind derzeit in Ankara wegen eines "Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz" angeklagt. Laut einem Bericht der kurdischen Nachrichtenagentur ANF
drohen den Beschuldigten, darunter die Rechtsanwältinnen Arzu Kurt und
Sevinç Hocaoğulları sowie die Journalistin Eylem Akdağ, jeweils bis zu
drei Jahre Haft. Die erste Hauptverhandlung soll am 7. Juni in Ankara
stattfinden.
Bereits im Februar 2020 hatte der türkische Präsident Recep Tayyip
Erdogan angekündigt, die Istanbul-Konvention nochmal zu überprüfen, um
"Männer nicht zu Sündenböcken zu machen". Das Übereinkommen war 2011 vom
Europarat als völkerrechtlicher Vertrag ausgearbeitet worden 2014 in
Kraft getreten. Die Türkei hatte es bereits 2012 ratifiziert - fünf
Jahre vor der Bundesrepublik Deutschland - aber die vorgesehenen Rechtsnormen und Hilfsangebote nicht in die Praxis umgesetzt.
Erdogan will eigene Konvention
Im August 2020 erklärte Erdogan, die Türkei solle eine eigene Konvention zum "Schutz von Frauen und Familien" erstellen
und betonte, die ideologische Linie der AKP beruhe auf einer
kontinuierlichen "Unterstützung des Familienbegriffs". Deshalb könne
seine Partei niemals den Versuch tolerieren, "das Grundkonstrukt der
türkischen Gesellschaft, die Familie, zu schwächen".
Für die Frauenrechtlerinnen der Region war der Subtext
unmissverständlich: Trennungswillige Ehefrauen sind aus AKP-Sicht
Familienzerstörerinnen, daher kann die Regierungspartei keine Konvention
unterstützen, die sie wirksam vor Gewalt als Folge des patriarchalen
Besitzdenkens schützt.
Bereits während der "Corona-Amnestie" im Frühjahr war aufgefallen,
dass wegen häuslicher Gewalt verurteilte Männer frei kamen, politische
Gefangene aber nicht. Im April hatte einer der vorzeitig entlassenen
Straftäter aus Gaziantep nach wenigen Tagen in Freiheit seine neunjährige Tochter umgebracht. Verurteilt worden war er zuvor wegen eines Mordversuchs an der Mutter des Mädchens.
Die Plattform "Wir werden Frauenmorde stoppen" zählte im Jahr 2020 mindestens 300 Femizide in der Türkei
- im Januar 2021 sind nach Angaben der Organisation mindestens 23
Frauen im Zusammenhang mit männlichem Anspruchs- oder Besitzdenken, der
"Familienehre" oder sexueller Gewalt getötet worden.
Die türkisch-kurdische Frauenbewegung befürchtet eine weitere
Verschlimmerung der Lage, wenn das Land sich nicht einmal mehr auf dem
Papier zu den Zielen der Istanbul-Konvention bekennt.
Die nun wegen versammlungsrechtlicher Verstöße angeklagten 33
Aktivistinnen hatten an einer Protestaktion der Frauenplattform Ankara
gegen die Annullierung der Istanbul-Konvention teilgenommen und eine
Menschenkette gebildet, die von der Polizei aufgehalten wurde, als sie
sich in Bewegung setzen wollte. Daraufhin waren die Polizisten laut ANF-Bericht
mit lila Farbbeuteln beworfen worden, hatten auf die Aktivistinnen
eingeschlagen, 24 von ihnen festgenommen und mit Handschellen abgeführt.
Weitere mutmaßlich Beteiligte wurden offenbar später identifiziert.
Versammlungsfreiheit, Demokratie und Menschenrechte sind bei Treffen
deutscher Kabinettsmitglieder mit türkischen Amtskollegen zwar immer
wieder Thema, aber keines, das die Waffenbrüderschaft beeinträchtigt.
Während die Polizei in der Westtürkei mit Schlagstöcken gegen
Protestierende vorgeht, hat die Armee im überwiegend von Kurdinnen und
Kurden bewohnten Südosten des Landes auch immer wieder deutsche Waffen
zur Aufstandsbekämpfung eingesetzt.